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Jugend v. J.Wiesheu Mbg.

Geschichten > zeithistorisches

Jugend von Josef Wiesheu, Moosburg
Zeitgeschichtliche Erinnerungen aus meiner Jugend- und Schulzeit von 1936 – 1945


Mein Heimatort Schweinersdorf war bis zur kommunalen Gebietsreform 1972 eine politische Gemeinde, eine Pfarrgemeinde sowie eine Schulsitzgemeinde. Die Volksschule hatte Hausnummer 1 und befand sich am südlichen Ortseingang.
Mit 6 Jahren wurde ich zu Ostern 1936 in die 1. Klasse der Volksschule eingeschult. Im Schulhaus gab es 2 Klassenzimmer. Die Schüler der 1. - 4. Klasse gingen in die sogen. „kleine Schule"; die Schüler der 5. - 8. Klasse besuchten die „große Schule". Meine 1. Klasse zählte 2 Buben und 8 Mädchen.

Mein ältester Bruder Sebastian, Jahrgang 1922, kam 1936 „aus der Schule" - so hieß dies damals.
Ich durfte seinen ledernen, schwarzen Schulranzen erben. Damit er mir zum Tragen mehr Spaß bereiten sollte, hat ihn der Sattler wieder neu aufgefrischt und ein feuerrotes Pferd auf den Ranzendeckel gemalt.
Der Schulbesuch machte mir Spaß, der Weg war kurz; im Winter, wenn der Boden gefroren war, ging dies sogar mit Hausschuhen.
In der 1. Klasse der „kleinen Schule" wurde ich von der Lehrerin Frl. Stab unterrichtet; die Schüler/innen der „großen Schule" hatten als Lehrer Georg Dietmair.

Von meinem Fräulein Stab in der ersten Klasse habe ich erfahren, dass die Wiesheu Kinder „Schwarze" sind, aber nicht den Kopfhaaren nach! Im sogen. 3. Reich wurden die Regimegegner als „Schwarze" bezeichnet.
Aus den ersten Schultagen blieb mir folgende Erinnerung: Ich sollte die Mitschülerin Maria Furtner aus Altfalterbach, auf Geheiß der Lehrerin ein Stück des Heimweges begleiten. Wir kamen beide allerdings nur bis zum Waldrand. Dort stand eine große Eiche. Wir sammelten Eicheln, setzten uns und spielten damit. Mittlerweile kamen die aus der „großen Schule" und nahmen dann die Furtner Maria mit nach Altfalterbach.


im Vordergrund: Schweinersdorf  [GWS39]
im Hintergrund: Altfalterbach;
dazwischen der Wald und die Eichel


Von dieser Stelle aus hatte ich in der darauffolgenden Nacht einen seltsamen Traum: Ich blickte zum Himmel gegen Schweinersdorf. Aus den Wolken schob sich, in eine lichte Stelle, ein riesiges Balkenkreuz. Diese Begebenheit sehe ich heute noch vor mir


vorne v. links n. rechts: Barbara Sixt, Kathi Frey, Josef Wiesheu (Schweinersdorf), Maria Schwanghart, Therese Zauner
dahinter von links nach rechts: Ursula Baumgartner, Josef Wiesheu (Inzkofen), Barbara Aneser  [JWM36]


In der 2. Klasse bekamen wir in der „kleinen Schule" eine neue Lehrerin. Sie hieß Toni Bader und als Ministrant, sah ich sie jeden Morgen schon im Chorstuhl beim Schulgottesdienst.

Mein Vater war ein Gegner des Nazi-Regimes im 3. Reich. Die NSDAP kam mit Adolf Hitler am 30. Jan. 1933 an die Macht. Mitglieder dieser Partei organisierten sich in der SA und ab 1939 integrierten sie sich in die SS  Adolf Hitlers. Die SA-Männer trugen eine braune Uniform, braune Stiefel und eine Hakenkreuz-Binde am Arm. SS-Männer hatten eine schwarze Unform mit SS-Zeichen am Kragenrevers.

1933 erschien ein SA-Mann, begleitet von einem Polizisten mit einem Hausdurchsuchungsbefehl am elterlichen Hof. Einem SA-Angehörigen aus einem Nachbardorf sei angeblich ein Gewehr von einem ehemaligen Huberknecht gestohlen worden. Dieser Verdächtige gab an, er hätte bei seinem früheren Bauern übernachtet und mein Vater hätte ihm das Gewehr abgekauft. Bei der Hausdurchsuchung wurde u. a. auch das Schlafzimmer durchstöbert und die Kinderwäsche aus der Kommode raus geholt. Ein Gewehr wurde aber nicht gefunden. Es gab zum ganzen Tatbestand auch keinen Anhalt.

Durch unser Dorf marschierten öfters die SA-Männer mit Pfeifen und Trommelschlägen. Wir Kinder hörten die Klänge, durften aber nicht auf die Straße gehen. Das fiel natürlich offensichtlich auf. Eine Mitgliedschaft zur HJ und beim BDM gab es für die Wiesheu Kinder nicht. Manche Veranstaltung wäre schon reizvoll gewesen!

Mein älterer Bruder, Jahrgang 1922, - seit Stalingrad 1942/43 vermisst -, fuhr 1938 mit dem Pferdegespann eine Fuhre Strohmist auf das Feld. Beim Wirt war die Hakenkreuzfahne aufgezogen, wegen einer bevorstehenden Wahl. Die Fahne flatterte im Wind und die Pferde scheuten davor. Sie lenkten um und die Fuhre Mist kippte auf die Straße. Mein Bruder schimpfte: „Wegen eurer Scheiß-Fahne ist das jetzt passiert!". Auf Grund dieser Äußerung musste mein Vater Abbitte leisten beim uniformierten Ortsgruppenleiter Ludwig Fischer.

Den Christbaumverkauf gab es auf dem Huberhof auch schon in den dreißiger Jahren. Wir Kinder durften auf den Markt in Moosburg mitfahren und die bestellten Fichtenbäume auch austragen.
Eines Tages kam ein Polizist ins Haus wegen einer Anzeige. Angeblich würden die Bäume zum Wucherpreis verkauft. Worauf mein Vater Käufernamen nannte. So u. a. auch den 2. Bürgermeister  Ernst Weise, Schuhgeschäftsinhaber in Moosburg. Man möge sich also bei diesem erkundigen. Es stellte sich heraus, dass Herr Weise den Preis von 5 RM selbst bestimmt hat.

Gelegentlich kamen die SA-Männer hoch zu Ross durchs Dorf. Sie wollten für ihre Übungen von meinem Vater einen Acker am Dorfrand. Mein Vater wies die Forderung ab mit der Begründung: "Das ist mein nächstgelegener Acker zum Hof und von guter Bonität". Worauf er zur Antwort erhielt: "Das werden wir schon sehen. Wir können das Feldstück auch anderweitig kriegen!".

Das Schriftstück zur Einlieferung ins KZ-Dachau war bereits erstellt.
Es gelangte in die Hände eines Verwandten in einem Nachbardorf. Dieser war bereits seit 1923 Mitglied bei der NSDAP und hatte ein gewichtiges Wort zum Sagen. Er zerriss das Schreiben mit der Bemerkung: "Das dürft ihr nicht machen!"

Für diese sogen. „Schwarzen", also Regimegegner, war die Hitlerzeit eine schwere Zeit. Mein Vater ging sehr selten ins Wirtshaus, um sich nicht der Gefahr einer falschen Äußerung gegen Hitler und sein Regime auszusetzen. Genauso gab es bei uns im Haus kein Radio bis 1945. Die Gefahr des „Schwarzhörens", d. h. einen Auslandssender zu hören, wäre verführerisch gewesen und war strafbar. „Der Feind hört mit", hieß es.
Ich erinnere mich auch an den Ausspruch eines Nachbarn: „Jetzt brauchen wir halt keinen Papst und Bischof mehr, wir haben einen Führer Adolf Hitler".

Ab jetzt gab es nur noch eine sogen. „einklassige Volksschule". Alle 8 Schulklassen in einem Klassenzimmer. Als Lehrerin bekamen wir Fräulein Anni Kieser. Sie stammte aus Moosburg, vom Steinmetz Kieser. Mit ca. 80 - 90 Schüler/innen musste sie fertig werden. Manchmal durfte ich Klassen im Nebenzimmer oder auf der Stiege beaufsichtigen, die dort einen Arbeitsauftrag zu erledigen hatten. Anni Kieser kam oft abends zu meinen älteren Schwestern zur Unterhaltung. Sie besuchte am Morgen den Schulgottesdienst um 7.00 Uhr und manchmal betete sie bei uns abends auch den Rosenkranz mit.
Jahrelang beteten wir täglich den Rosenkranz, für eine gute Heimkehr unseres vermissten Bruders Sebastian; auch noch nach Kriegsende 1945.
Anni Kieser hat mir mein Entlassungszeugnis der 8. Klasse Volksschule ausgestellt.

In Schweinersdorf gab es von 1939 - 1945 ein Gefangenenlager, das als Außenstelle zum Stalag VII A in Moosburg gehörte. Im Hauptsammellager Stalag VII A in Moosburg waren oft bis zu 75.000 Gefangene aus ca. 50 Nationen untergebracht. Man bedenke, Moosburg hatte vor dem 2. Weltkrieg ca. 5.000 Einwohner. Das Barackenlager wurde 1939 in der heutigen Neustadt erstellt. Der Vater von meiner Frau Marianne, gelernter Zimmerer, beschäftigt bei der Baufirma Breitenreich in Vilsbiburg, war damals beim Aufbau des Lagers auch mit eingesetzt.

Im Außenlager Schweinersdorf waren ca. 25 Kriegsgefangene im ehemaligen Pferdestall vom Pfarrhof untergebracht. Zum Kriegsbeginn 1. September 1939, waren dies Polen. Von 1941 bis 1945 Kriegsende waren es Franzosen.
Ein sogen. Posten, meist ein verwundeter Soldat, brachte die Gefangenen zu den Bauern als Arbeitskraft auf den Hof.



Mein Bruder und ich haben uns gut verstanden mit den polnischen Hilfskräften. [JWM40]


Die Gefangenen wurden gut behandelt, nahmen mit uns die Mahlzeiten am Tisch ein und die Verständigung klappte bis zum Ende auch auf bayerisch recht gut. Wenn gelegentlich auf dem Hof eine Schwarzschlachtung (verbotene Haustierschlachtung) eines Schweins stattfand, so haben dies die Franzosen auch stillschweigend bemerkt.
Wir Buben bekamen öfters Blockschokolade von den Franzosen. Manchmal war diese schon leicht verschimmelt; abgekratzt schmeckte sie aber trotzdem gut. Die Franzosen bekamen vom Roten Kreuz über die Schweiz Pakete von zu Hause. Diese lagerten bis zur Verteilung in der Johanniskirche in Moosburg.
In den letzten Kriegsjahren 1944/45 wurde mein Vater beauftragt, die Aufsicht über das Schweinersdorfer Lager zu übernehmen. Er bekam dazu ein tschechisches Gewehr. Seine Aufgabe war es, jeden Morgen das Lager aufzusperren und am Abend die Gefangenen abzuzählen und wieder einzusperren. Mittlerweile fand auch jeder seinen Arbeitsplatz. Einmal meldete sich ein Gefangener morgens krank. Er konnte seine Arbeitsstelle nicht antreten. Es stellte sich heraus, dass an diesem Tag eine Tochter seines Bauern ein Kind von ihm erwartete. Das musste natürlich während des Krieges verschwiegen bleiben.

Mein Bruder Georg, Jahrgang 1928, wurde 1945 noch eingezogen zum Arbeitsdienst und kam bis nach Österreich und sollte noch zur Verteidigung des Vaterlandes eingesetzt werden. Doch die Amerikaner kamen immer näher, so löste sich im Rückzug die Truppe auf. Zusammen mit dem Kameraden Simon Lösch aus Mauern schlüpften sie bei einem Bauern in Zell a. See unter. Von dort traten sie einige Wochen später zu Fuß den Heimweg an.

Mein Jahrgang wurde nicht mehr wehrpflichtig. Ich bekam nur mehr eine 3-tägige Volkssturmausbildung in der Wies bei Freising. Die Ausbildung erfolgte im Scharfschießen auf ein aufgestelltes Feindbild in einer Kiesgrube; ferner Umgang mit der Panzerfaust und Handgranaten. Dafür gab es als letztes Aufgebo den Volkssturm, derin ausgehobenen Winkelgruben vor den Ortseinfahrten zur Verteidigung eingesetzt werden sollte. Bei obrigem Lehrgang sollte ich mich noch freiwillig melden zum Kriegseinsatz. Ich bat mir Bedenkzeit aus beim Bannführer. Es kam aber nicht mehr so weit. Die Amerikaner als „Befreier" rückten immer näher aus Richtung Ingolstadt an.

Am Vorabend zum 1. Mai 1945 parkte gegen 17.00 Uhr ein deutsches Militärfahrzeug mit etwa fünfundzwanzig 17-jährigen Soldaten außerhalb des Dorfes an der Auffahrt von Thal nach Schweinersdorf.
Die jungen Soldaten gingen zum Wirt zum Abendessen. Immer näher kam das Getöse der ratternden Panzerketten der Amerikaner. Die jungen Soldaten verschwanden in den Scheunen der Schweinersdorfer Bauern.

Am Morgen zum 1. Mai fuhren die Panzer durch unser Dorf und die befreiten Franzosen jubelten ihnen zu. Mein Vater hatte schon am Vorabend unserem August, so hieß der Franzose, den Schlüssel zugesteckt zum Aufsperren des Lagers.
Wir im Hause hielten uns noch bedeckt hinter den Gardinen als Beobachter. Vorher hörten wir einen lauten Knall. Die Amerikaner sprengten den abgestellten Lastwagen vor dem Dorf in die Luft. Es zeigte sich, dass das Fahrzeug mit Panzerfäusten und Eierhandgranaten beladen war. In unserem Hopfengarten lagen weit verstreut die Trümmer.

Wir sammelten diese Waffenstücke und füllten die nahegelegenen Verteidigungsgruben. Dort lagern sie heute noch und ein Baum beschattet sie.


Aufgeschrieben im November 2012 von Josef Wiesheu (*1929), Moosburg

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